Arthur Schopenhauer „Über den Tod“

In Zeiten medialer Reizüberflutung und subjektiver Zeitknappheit greift man – aller Erfahrung nach – immer seltener zu kompletten, oft mehrbändigen, kritisch-akademischen Werksausgaben der großen Philosophen. Stattdessen nimmt man gern das Angebot knapperer Zusammenfassungen an, besonders, wenn diese sich als thematische Kompilation verstehen. Weil ich in dieser Hinsicht nicht anders bin, habe denn auch ich zugegriffen, als mir in einer Buchhandlung der Band „Arthur Schopenhauer – Über den Tod“ in die Hände fiel. Herausgegeben von einem renommierten Verlag, von dem ich bis jetzt knappe aber durchaus qualitativ hochwertige Darstellungen gewohnt war, und zusammengestellt von einem Archivar und Historiker hielt sich das Risiko eines Fehlkaufes bei dem geringen Preis doch stark in Grenzen – dachte ich. Doch von vorn.

Zunächst muss man sich in dem dünnen Heftchen durch eine mit Zitaten und Versatzstücken überbordene Einleitung kämpfen, die einen roten Faden schmerzlich vermissen lässt und nur stellenweise eine Erläuterung zu den folgenden Schopenhauer-Texten darstellt. Lieber ergeht sich Ernst Ziegler in einer Reihe von beinahe schon kanonischen Allgemeinplätzen und bruchstückhaften Kommentaren zu anderen Philosophen – vornehmlich den üblichen Verdächtigen, also Platon, Cicero, Seneca, Montaigne, usw. Man kann diese Einleitung völlig ungelesen lassen und verpasst dadurch rein gar nichts. Zieglers „volkstümlicher“ Ansatz mag für den ein oder anderen Leser tatsächlich einen Einstieg in die Thematik des Todes ermöglichen. Für Kenner der Materie findet sich nur lange Bekanntes – neben den Vorgriffen auf Schopenhauer selbst, die aber so aus ihrem Kontext gerissen sind, dass man gut daran tut, diese ebenfalls zu überspringen und sich alsbald dem Original-Text zu widmen.

Der erste Schopenhauer-Text „Über den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit unseres Wesens an sich“ stellt zunächst fest – und soweit bin ich mit Schopenhauer noch einer Meinung -, dass Religion und Philosophie jeweils Versuche des Menschen seien, sich angesichts seiner Sterblichkeit, derer er sich anders als die Tiere sehr wohl bewusst ist, zu trösten. Allerdings unterstellt Schopenhauer bereits an dieser Stelle, dass dies vor allem durch metaphysische Aussagen geschehen soll – und zwar auch in der Philosophie, womit meine Gegnerschaft zu Schopenhauer bereits ihren Anfang nimmt. Die metaphysische Spekulation zieht sich dann im Folgenden durch Schopenhauers gesamte Gedankengänge, auch wenn er mehrfach beteuert, er gehe stets von empirischen Befunden aus. Zwar stellt er tatsächlich knappe Beobachtungen über Todesfurcht, Trauer und Rachsucht an den Anfang seiner nun folgenden Untersuchung des Todes als großes Übel, jedoch verlässt er die Empirie auch sehr schnell wieder, nachdem er festgestellt hat, dass Todesfurcht als solche wohl a priori gegeben und überhaupt nicht auf Erfahrungen angewiesen ist, da sie nur die Kehrseite des Lebenswillens sei.

Insgesamt untersucht Schopenhauer drei Ansätze, die erklären können, warum der Tod überhaupt als Übel aufgefasst wird – und alle drei verwirft er. Bereits die Widerlegung des ersten Ansatzes, es könne der Gedanke des „Nichtseins“ sein, der den Tod als Übel erscheinen lässt, strotzt nur so von metaphysischen Behauptungen, die kaum haltbar sind. Besonders ärgerlich dabei ist, dass die vorliegende Textausgabe dies nicht kommentiert. Sein erster Einwand gegen die Auffassung, der Tod könnte ein Übel sein, ist eine Kopie des Symmetrie-Arguments von Lukrez, worauf der Herausgeber leider nicht hinweist. Das Argument des Epikureers Lukrez (98-55 v. Chr) wurde von Héctor Witter in seinem Band „Philosophie des Todes“ (Reclam 2009, S. 43f.) folgendermaßen rekonstruiert:

(P1) Vor der Geburt eines Menschen ist unendlich viel Zeit vergangen.

(P2) Nach dem Tod eines Menschen wird unendlich viel Zeit vergehen.

(P3) Niemand hält es für ein Übel, dass er die unendlich lange Zeit vor seiner Geburt nicht erlebt hat.

(P4) Die Zeit vor der Geburt und die Zeit nach dem Tod verhalten sich symmetrisch zueinander.

(K) Also kann die unendlich lange Zeit nach dem Tod nichts schlechtes sein.

Die beste Erwiderung dieses Argumentes hat bislang Thomas Nagel in seinem Aufsatz „Der Tod“ geliefert. Nagel greift dabei vor allem (P4) an, denn die Behauptung, die beiden Zeiträume vor und nach unserem Leben seien symmetrisch, ist ganz klar die Schwachstelle des Lukrezschen Argumentes. Folgende Einwände lassen sich nach Nagel formulieren: Erstens ist die Geburt für die Identität eines Menschen konstitutiv. Er kann sich also aus der Zeit vor seiner Geburt gar nichts machen, weil sie ihn als Person überhaupt nicht betrifft. Die Zeit, oder besser: die Nichtzeit nach seinem Tode jedoch betrifft ihn definitiv. Denn seine Existenz und seine Identität enden – empirisch betrachtet – mit dem Tod. Seine Erlebenszeit wird durch den Tod beendet oder verkürzt. Hinzu tritt an dieser Stelle ein zweites Argument: Während der Tod die Erfüllung bestimmter Vorhaben und Wünsche unter Umständen verhindert und deshalb bedrohlich wirkt, trifft diese Bedrohlichkeit auf die Zeit vor der Geburt nicht zu, weil wir in Bezug auf die Zeit vor unserer Existenz keine sinnvollen Wünsche äußern können und diese daher auch nicht verhindert würden. Der Mensch sei, so Nagel, ein auf die Zukunft ausgerichtetes Wesen, dem seine Vergangenheit im Vergleich eher fern ist. Beide Argumente sprechen für eine Asymmetrie der beiden Zeiträume vor der Geburt und nach dem Tod.

Tatsächlich entspricht dies der Intuition, die man zuerst hat, wenn man über diese beiden Zeiträume nachdenkt. Schopenhauer selbst reißt diese Auffassung an: „Sollte nun dieser Durst nach Dasein etwa dadurch entstanden sein, dass wir es jetzt gekostet und so gar allerliebst gefunden hätten?“ Er beantwortet die Frage mit einem „Nein“, weil er der Auffassung ist, das Leben des Menschen sei eigentlich unerträglich, es sei voller Schmerz, Angst und Leiden und deshalb hege der Mensch eher eine „unendliche Sehnsucht nach dem verlorenen Paradiese des Nichtseins.“ Diese einseitig pessimistische Weltanschauung lässt Schopenhauer leider nicht klar denken und in Verbindung mit seiner privaten Begeisterung für brahmanische und buddhistische Religion, der er schon zu Beginn seiner Ausführungen ganz offen einen Vorteil über die westlichen Vorstellungen einräumt, verwischen rationaler Diskurs und religiöse Überzeugung. Denn was Schopenhauer geflissentlich übersieht, weil er seine Existenz von vorneherein als ewig annimmt, ist, dass das Leben aus empirischer Perspektive nur als zeitlich eng begrenztes Geschenk, als Möglichkeit zu Gestaltung und Selbstverwirklichung gedacht werden kann, wovon auch metaphysische Heilsfantasien diverser Religionen nichts ändern. Diese beschränken sich nämlich, wie so manche weltliche Droge darauf, evtl. erlittenes Leid mit Lügen zu betäuben. Dabei wäre angesichts des später drohenden, noch größeren Übels, nämlich der Möglichkeit der kompletten Nichtung der eigenen Existenz, ein anderes, aktives Verhalten womöglich sinnvoller.

Auch Schopenhauers zweiter Einwand gegen die These, der Tod sei ein großes Übel, ist aus der Antike geborgt. Diesesmal bei Epikur.  In seinem berühmten Brief an Menoikeus schrieb der griechische Philosoph (341 – 270 v.Chr.) einst:

Das schauerlichste Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr.

Diesen Satz nimmt Schopenhauer zum Anlass, über die Bedingungen von Leid nachzudenken, die er im Dasein überhaupt, genauer im Bewusstsein identifiziert. Analog zu Epikur schließt Schopenhauer dann, dass die Zeit nach dem Tode gar kein Übel sein könne, weil sie prinzipiell gar nicht als Übel empfunden werden kann. Schließlich sei das Bewusstsein zu diesem Zeitpunkt schon erloschen. Selbst der Sterbevorgang wird von Schopenhauer verharmlosend dargestellt und als Parallele zur Ohnmacht, dem „Zwillingsbruder des Schlafes“, beschrieben. Erneut verfehlt die völlig unkritische Übernahme des epikureischen Arguments den eigentlichen Punkt. Auch wenn ich im Zeitpunkt meines Todes kein Leid  mehr empfinde und ich mangels Bewusstsein, bzw. Existenz nach meinem Tod kein Übel mehr wahrnehmen kann, das mir evtl. zuteil würde, so kann ich jetzt, als Lebender, der sich seines eigenen, zukünftigen Todes bewusst ist, dieses Ereignis durchaus „schlecht“ nennen. Denn es wird mich ab einem gewissen Punkt all dessen berauben, das mir in diesem Leben lieb und teuer ist: meiner Empfindungen – von denen es auch positive gibt, selbst wenn Schopenhauer dies anders sieht -, meiner Möglichkeit zu handeln, usw. Insgesamt bedroht der Tod als Ereignis der Nichtung meiner Existenz meine Selbstverwirklichung und meine Partizipation an dem, das ist. Selbst wenn der Tod, wie Epikur meinte, kein Übel ist, so ist er auch unmöglich etwas Gutes. Er ist nichts und als solches unbefriedigend im Gegensatz zu dem Etwas, an dem wir im Leben teilhaben.

Schopenhauers dritter Einwand gegen die Behauptung, der Tod sei ein Übel, geht dann noch einen Schritt weiter. Hier ist der Tod nicht nur kein Übel, sondern er ist möglicherweise sogar ein Gut, da er den körperlichen Verfall des (kranken) Leibes beendet. Speziell sofern der Alterungsprozess schon weit fortgeschritten sei, wäre der Tod daher womöglich eine wundersame Erleichterung, ein Aufwachen aus einem Alptraum für die „treibende Kraft“, also den Willen, den Geist des Menschen. Ohne den Begriff zu nennen, spricht Schopenhauer hier von der Möglichkeit des Freitods – und damit indirekt auch von Sterbehilfe – als Weg aus dem Leiden, das die Welt dem Menschen zufüge. Nun ist dieser Einwand womöglich der stärkste von allen dreien, aber er passt nur auf eine begrenzte Zahl von Fällen. Hier wird eben nicht verallgemeinerbar vom Tod gesprochen, sondern es werden ganz besondere Vorbedingungen geschaffen. Unter der Voraussetzung, dass wir ein soweit erfülltes, langes und zunehmend leidvolleres Leben vor uns haben, kann die freiwillige Beendigung desselben durchaus nachvollziehbar sein. Damit ist aber nur gesagt, dass der Tod in gewissen Fällen kein Übel sein muss – gerade, wenn er freiwillig gewählt wird. Als bedrohlich und damit als Übel wird aber in der Regel ein Tod empfunden, der uns von außen und zumeist unerwartet trifft, der zu früh kommt, zu dem wir also nicht unsere Zustimmung gegeben haben, mit dem wir nicht einverstanden sind. Ob Schopenhauers Einwand daher die These vom Tod als Übel widerlegen kann, muss fraglich bleiben. Die von Schopenhauer ausgemachte „Hoffnung auf günstigere Bedingungen des Daseins“ nach dem freiwilligen Tode ist jedenfalls erneut eine metaphysische Spekulation, die durch nichts belegt werden kann.

Nachdem der Tod nun nicht länger als Übel bezeichnet werden kann – so jedenfalls Schopenhauers Fazit aus seiner Beweisführung – ändert der Philosoph seine Perspektive: natürlich noch immer absolut „empirisch“ wendet er sich ab von der Bedeutung des Todes für das Individuum und fragt sich nun, wie sich das Ganze der Natur hinsichtlich des Todes verhält. Kaum verwunderlich findet er, dass der Tod in der Natur keineswegs ein großes Übel sein kann, weil er zur natürlichen Ordnung der Dinge gehört. In einer schon fast esoterisch zu bezeichnenden Sprache schmückt er diese Erkenntnis mit dem Mythos der „Allmutter“ Natur aus, für die der Fall ihrer Geschöpfe nur ein „Scherz“ sei, da alles was vergeht, in ihren Schoß zurückkehre. Im Hintergrund steht hier die Idee eines ewigen Kreislaufes, einer in sich geschlossenen Natur, in der nichts verloren geht und nichts neues hinzukommt, weil alles von Anfang an bereits dagewesen sei und nur seine Form ändere. Dabei bleibe aber die Idee, das Allgemeine, stets erhalten.

Aus rein materialistischer – wir könnten vielleicht auch sagen: physikalischer – Sicht, klingt die These Schopenhauers an dieser Stelle durchaus einleuchtend und vielleicht sogar plausibel. Man hat vielleicht die Urknalltheorie im Kopf und von Energieerhaltungssätzen gehört und ist durchaus geneigt, der These, es könne nicht etwas einfach aus dem Nichts entstehen, zuzustimmen. Leider werden hier jedoch von Schopenhauer völlig hemmunglos und undifferenziert Kategorien durcheinander geworfen, die das eigentliche Problem des Menschen mit seinem Tod verschwimmen lassen: So sehr sich Schopenhauer auch bemüht, vom (Einzel-)Schicksal des Individuums abzulenken und ihn mit der Fortexistenz in der Natur zu trösten, so sehr verfehlt er damit die Angst jedes Individuums vor dem eigenen Tod. Schopenhauer zielt darauf ab, zu zeigen, dass das Wesen des Menschen „an sich“ unvergänglich sei, nur kann das keineswegs beruhigen, zumal er später zugibt, dass der Tod eben durchaus das Ende des einzelnen Menschen, der einzelnen Person sei. Welchen Trost soll der Mensch nun aber daraus ziehen, dass sein „Wesen“-  oder aus physikalischer Sicht: seine Bausteine und die diesen Bausteinen innewohnende Energie – nach seinem Ende in anderen Formen weiter existiert? Das, was ihn als Menschen, als Existenz ausgemacht hat, ist dann verschwunden. Ein Existenzphilosoph würde gar noch weiter gehen und zeigen, dass es die von Schopenhauer postulierte Essenz des Menschen gar nicht gibt. Damit gerät nun auch nicht nur der von Schopenhauer beabsichtigte Trosteffekt seiner Abstraktion ins Wanken, sondern auch die von ihm überdeutlich favorisierte Wiedergeburtsidee, die zudem noch unter mannigfaltigen anderen Schwächen leidet (beispielhaft sei nur das Problem erwähnt, das den Reinkarnationsanhängern durch die stetig wachsende Bevölkerungszahl der Erde erwächst).

Angehängt an diesen ersten Text findet sich in dem Bändchen von Ziegler noch ein deutlicher kürzerer mit dem Titel „Zur Lehre von der Unzerstörbarkeit unseres wahren Wesens durch den Tod“, in welchem die bereits bekannten Argumente, insbesondere hinsichtlich der Fortexistenz nach dem Tode, dem Werden und Gehen ins Nichts, des Gleichnisses des Lebens als Traum, usw. wiederholt werden. Ganz deutlich wird hier, auf welcher Grundlage Schopenhauer zu seinen Ergebnissen gelangte: Als Vertreter eines klaren Dualismus von ewiger Essenz und flüchtiger Erscheinung nahm er Zuflucht beim vermeintlich Ewigen, auch wenn ihm seine eigene Erfahrung die Vergänglichkeit stets vor Augen führte. Das Postulat eines Dinges an sich ist aber in der jüngeren Philosophie – zu Recht – massiv attackiert worden. Selbst wenn es Objekte jenseits unserer Erfahrung, den Erscheinungen, geben sollte, so können wir ihre Existenz nur schwer – wenn überhaupt – belegen. Ihr Einfluss auf unser Leben ist nicht nachzuweisen, weil der Mensch in der Regel aufgrund von Sinnesdaten entscheidet und handelt, die sich wiederum allein aus den Erscheinungen ergeben. Das Ding an sich war für Schopenhauer ganz offensichtlich eine Zuflucht vor dem Problem der Entstehung von Dingen aus dem Nichts. Doch moderne Chemie und Physik, sowie die neuere Philosophie des Geistes mit ihren Theorien von Supervenienz und Epiphänomenalismus kommen auch ohne ein ewiges Bauteil aus, was den Menschen und alles andere Leben betrifft. In einem gewissen Sinne entsteht ein Mensch bei seiner Geburt also tatsächlich aus dem Nichts und auf eine andere Weise eben nicht. Sein Bauplan ist Teil eines biologisch-physikalischen Prozesses, seine Individualität aber auch Produkt seiner selbst und seiner Interaktion mit einem zeitlich einmaligen sozialen und ökologischen Umfeld.

Zuletzt hat Ziegler noch eine „Anthologie“ zusammengestellt, die Stellen aus Schopenhauers Werken zu bestimmten Themen zusammenfasst. Abgedeckt sind sowohl die Stichworte „Tod und Philosophie“, „Bewusstsein“, „Intellekt“, „Notwendigkeit des Todes“, „Zeugung“, „Geburt“, „Jugend und Alter“, „Ich und die Anderen“, „Schlaf“, „Sünde und Schuld“, „Todesfurcht“, „der gute Tod“, „Sterben“ und „Fortdauer nach dem Tode“. Abgerundet wird die Sammlung durch Bruchstücke, teils nur halbe, völlig aus dem Zusammenhang gerissene Sätze, die alle auf die ein oder andere Art mit der Todesthematik bei Schopenhauer zusammenhängen. In diesem letzten Teil finden sich keine grundsätzlich neuen Ideen, sondern vornehmlich Reformulierungen bereits bekannter Argumente, die oben bereits vorgestellt und diskutiert worden sind. Selten findet sich noch ein ganz netter Aphorismus, der Schopenhauers Welt- und Lebensbild pointiert darzustellen vermag.

Mein ganz persönliches Fazit: Schopenhauer gehört einer Generation von Philosophen an, mit der ich mich nicht identifizieren kann. Er ist durchweg Metaphysiker, macht Begriffs- und Kategorienfehler und lässt nicht zu, was seiner Meinung nach nicht sein darf. Er ist inkonsequent und in seiner Argumentation alles andere als überzeugend. Seine eigene Leistung ist die Kritik an der in Europa vorherrschenden Vorstellungswelt in Bezug auf den Tod, jedoch setzt er an deren Stelle eine unkritisch hinterfragte Vorstellungswelt aus Indien. Der Mythos Schopenhauer ist jedenfalls entzaubert. Einigen kann ich mich mit ihm nur darauf, dass der Tod tatsächlich ein zentrales Problem der Philosophie ist.

Daten und Fakten: Arthur Schopenhauer: Über den Tod. Gedanken und Einsichten über letzte Dinge. Hrsg. von Ernst Ziegler. München: C.H.Beck 2010. 106  S.,  € 8,95 , ISBN 978-3-406-60567-3.

3 Gedanken zu „Arthur Schopenhauer „Über den Tod“

  1. Carsten Roeger

    Guten Abend!

    Vielen Dank für die differenzierte Darstellung, der ich auch nicht mehr viel hinzuzufügen habe, da ich einerseits von Schopenhauer zu wenig Ahnung habe und anderseits deiner Rekonstruktion der wesentlichen Argumente zustimmend folgen kann.

    Nur eine Anmerkung zu folgender Stelle:
    „So sehr sich Schopenhauer auch bemüht, vom (Einzel-)Schicksal des Individuums abzulenken und ihn mit der Fortexistenz in der Natur zu trösten, so sehr verfehlt er damit die Angst jedes Individuums vor dem eigenen Tod.“

    Der irrationalen Angst des Individuums kann man sicher nicht nur mit rationalen Argumenten begegnen. Kann es aber nicht sein, dass Schopenhauer hier eine Erziehung im Sinn haben muss, die auf seinen religiös-philosophischen Thesen basiert um dieser Angst zu begegnen?

    Er versucht offensichtlich buddhistische Vorstellungen in die westliche Philosophie zu integrieren. Müsste man mit Schopenhauer dann nicht soetwas sagen wie: Natürlich findest du kein Trost darin ewig weiterzuleben, wenn das nur für deine Atome gilt. Aber du findest einen Trost darin wenn du verinnerlichst, dass dein Ego nur eine Illusion ist und dann ist der Tod auch kein Übel mehr. Könnte man Schopenhauer nicht auch so lesen?

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  2. Thanatos Autor

    Mag sein, dass man Schopenhauer auch so lesen könnte. Ich sehe nur nicht, wie mich diese Einsicht trösten soll.

    Wenn mir gesagt wird, mein Ego sei eine Illusion, dann wird damit doch gesagt, dass „ich“ nur eine Täuschung bin. Ich täusche mich über mich selbst. Aber wie kann ich denn eine Selbsttäuschung sein, wenn dieses „ich“ der Modus ist, in dem ich existiere? Es ist der einzige Modus, den ich je erfahren habe und er ist konstitutiv für mein Erleben sowohl meines Seins als auch der Welt. Die Behauptung, mein Ego sei eine Illusion, ist für mich daher auch wieder nur eine unhaltbare metaphysische Behauptung, die auf der Annahme beruht, dass ich hinter die Wirklichkeit schauen könne, um dort den wahren Seinsmodus meines Selbst bzw. der Welt zu entdecken.

    Da halte ich es dann doch lieber mit Ockham.

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